Abzeichnung der Herkulanischen Papyri

Aus HercWiki
Wechseln zu: Navigation, Suche

Abzeichnungen (1754-1916)

Die aufgewickelten Papyri (s. Aufrollung der Herkulanischen Papyri) wurden bereits seit 1754, dem zweiten Jahr Antonio Piaggios in Neapel, auf Anweisung von König Karl V. von Sizilien abgezeichnet. Ursprünglich wurden die Abzeichnungen (disegni) angefertigt, um die Papyri anschließlich in Kupfer stechen und publizieren zu können. Doch erkannte man im Laufe der Zeit ihren eigenständigen Wert als einfache Methode, das Aussehen der Papyri zu dokumentieren; Capasso (1991) 119. Die Abzeichnungen kamen erst nach 1916 durch den Fortschritt der Photographie außer Gebrauch.

Entstehung

Die Abzeichnungen wurden von den sogenannten disegnatori angefertigt, die oftmals gleichzeitig als svolgitori die Papyri aufrollten. Wie die Aufroller arbeiteten auch die Abzeichner unter der Kontrolle von Gelehrten (interpreti) der Accademia Ercolanese; Capasso (1991) 122. Diese prüften die Abzeichnungen wiederholt, bevor sie in Kupfer gestochen wurden; Essler (2004) 158. Die genaue Überwachung war nötig, da die disegnatori über keine Griechischkenntnisse verfügten. Durch ihr fehlendes sprachliches Wissen konnte sichergestellt werden, dass sie ausschließlich abzeichneten, was sie sahen, ohne sich von einer vermeintlich verstehenden Interpretation des Textes leiten zu lassen; Delattre (2006) 34; Sider (2005) 54f.

Bedeutung

Die Abzeichnungen sind auch heute noch eine wichtige Quelle. Sie dokumentieren das Aussehen eines Papyrus zum Zeitpunkt seiner Öffnung bzw. in relativ naher Zeit zu dieser und zeigen ihn ohne später eingetretene Verluste und Schäden. So enthalten die disegni in einigen Fällen Partien, die im Original nicht mehr vorhanden bzw. im Laufe der Zeit unleserlich geworden sind. Im Falle einer Scorzatura totale sind die disegni sogar das einzige Zeugnis der vernichteten Originale; Sider (2005) 54.

Abzeichnungsreihen

Die Abzeichnungen unterteilen sich in zwei Serien: disegni Oxoniensi (bis 1806) und disegni Napoletani (ab 1806). Beide sind wichtig und können bei den Papyri, die in beiden Reihen vertreten sind, von Fall zu Fall die bessere Lesung enthalten.

disegni Oxoniensi (1754-1806)

Geschichte

Als Oxforder Abzeichnungen werden diejenigen disegni bezeichnet, die bis 1806 in Neapel angefertigt wurden. Es handelt sich bei ihnen um die erste Serie der Neapolitanischen Abzeichnungen, die durch John Hayter nach Oxford gelangte; Delattre (2006) 34f. Als im Zuge der französischen Invasion John Hayter mit König Ferdinand IV 1806 nach Sizilien flüchtete, konnten nach anfänglichen Schwierigkeiten die Abzeichnungen und Transkripte der Herkulanischen Papyri, die unter Hayter angefertigt worden waren, beim Abt Foti und dem Finanzminister Seratti ausfindig gemacht werden; sie wurden nach Sizilien gebracht und Ende 1806 Hayter übergeben; Longo Auricchio (1980) 170-174. Im September 1807 wurden Hayter auch diejenigen disegni, die vor seiner Zeit entstanden waren, zur Aufbewahrung anvertraut - mit der Auflage des Königs, dass ihm alles nach der Anfertigung der Kupferstiche und der Besorgung der Edition zurückgegeben werden müsse; Longo Auricchio (1980) 176. Da es allerdings in Sizilien keine geeigneten Kupferstecher gab (Essler (2004) 159 mit Anm. 24), erhielt Hayter die Erlaubnis, die Abzeichnungen 1809 mit sich nach England zu nehmen. Von Hayter gelangten die disegni an den Prince of Wales, dem späteren Georg IV, der sie der Universität Oxford stiftete. Dort liegen sie bis heute in der Bodleian Library ohne je nach Italien zurückgekehrt zu sein.

Qualität

Da die Oxforder Abzeichnungen direkt nach bzw. noch während des Aufrollprozesses entstanden sind, sind sie oft vollständiger als die disegni Napoletani. Beispielsweise zeigen sie in manchen Fällen am Rand Passagen des Papyrus, die im Aufrollprozess verloren gegangen sind; Capasso (1991) 121.

Publikation

In den Jahren 1824 und 1825 wurden die Oxforder disegni von sieben Papyri in zwei Bänden publiziert. Sie tragen den Titel Herculanensium Voluminum Pars prima und Pars secunda (s. Editionen); Capasso (1991) 120. Schließlich veröffentlichte The Oxford Philological Society Aufnahmen unter dem Titel Photographs of the Oxford fac-similes made from papyri found at Herculaneum in drei Bänden (London 1890).

Digitalisierung

2004 wurden alle Oxforder Abzeichnungen digitalisiert und sind in sieben Bänden unter ihrer Signatur MS Gr. class. c. 1-7 online zugänglich. Die restlichen drei Bände der Reihe, MS Gr. class. c. 8-10, mit unedierten Transkriptionen von Hayter (Band 8), druckbereiten Transkriptionen und ihrer italienischen Übersetzung (Band 9) sowie Dokumenten über die Mission Hayters in Italien (Band 10), können nur in der Bodleian Library eingesehen werden; Capasso (1991) 119 Anm. 4. Bei den digitalisierten Abzeichnungen findet sich jeweils vor den disegni eines Papyrus ein Deckblatt mit Angaben zur Inventarnummer des Papyrus, dem Aufwickler, dem Abzeichner, der Zahl der disegni und der Information, ob sich unter den Abzeichnungen die subscriptio befindet. Teilweise ist zusätzlich der Titel ausgeschrieben und angegeben, ob der Papyrus in Kupfer gestochen wurde. Auf das Formblatt folgen die disegni der Kolumnen sowie, falls vorhanden, der subscriptio in Bleistiftzeichnung; nur vereinzelt finden sich Tuschezeichnungen (z.B. von PHerc. 1497; s. z.B. Col. 6). Alle Deckblätter und disegni wurden, als sie aufsteigend nach ihrer Inventarnummer in sieben Bände gebunden wurden, mit einer eingekreisten Zahl von 1 bis 1680 durchnummeriert (Bd. 1: 1-241, Bd. 2: 244-477, Bd. 3: 479-715, Bd. 4: 717-962, Bd. 5: 964-1240, Bd. 6: 1241-1579, Bd. 7: 1580-1680).

disegni Napoletani (1806-1916)

Geschichte

Die Neapolitanische Abzeichnungen sind ab 1806 unter der neuen französischen Regierung entstanden und wurden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fortgeführt; Capasso (1991) 119f. Dadurch, dass 1806/1807 alle damaligen Abzeichnungen zuerst nach Sizilien und danach nach Oxford transportiert wurden, waren in der Officina zwar noch die geöffneten Papyri vorhanden, jedoch keines ihrer disegni. Carlo Maria Rosini, der unter der französischen Regierung wie zuvor unter den Borbonen der Leiter der Officina war, ließ deshalb neben der Aufrollung und Abzeichnung neuer Papyri in nur zwei Jahren (1806-1808) alle bisher geöffneten Rollen erneut abzeichnen, um eine eigene Publikation zu ermöglichen; Essler (2004) 160. Zu den disegni Napoletani gehört allerdings auch eine Gruppe mit Abzeichnungen von vier Papzri (darunter PHerc. 1008), die vor 1806 angefertigt wurde. Sie war Pasquale Baffi, einem Interpreten der Accademia Ercolanese, anvertraut worden, damit er die Übersetzung und Transkription der Texte besorge. Seit dieser als Anhänger der Revolution 1799 zu Tode verurteilt worden war, waren die disegni verschollen, bis sie Baffis Witwe 1808 der Accademia di archeologia, lettere e belle arti aushändigte. Hayter konnte die Abzeichnungen dieser Gruppe deshalb nicht nach England mitnehmen.

Qualität

Die disegni Napoletani sind bei allen bis 1806 geöffneten Papyri - außer denjenigen, deren Abzeichnungen bei Baffi verschollenen waren - erst in einem unterschiedlich großen Zeitraum nach ihrer Aufrollung entstanden. Sie können deshalb nur noch jenes Aussehen dokumentieren, welches das Original in den Jahren 1806 bis 1808 zeigte. Die Eile, mit der in der Officina gearbeitet wurde, mag zusätzliche Fehler verursacht haben. Trotzdem folgen die Neapolitanischen Abzeichnungen in manchen Fällen näher dem Original und sind somit bisweilen denjenigen aus Oxford überlegen; Capasso (1991) 121.

Publikation

Die Neapoltanischen disegni wurden teilweise in Kupfer gestochen und so in der Collectio Prior (1793-1855) und Collectio Altera (1862-1876) veröffentlicht. In der Collectio Tertia (1914) finden sich hingegen keine Abzeichnungen, sondern Photographien der Papyri.

Digitalisierung

Die Neapolitanischen Abzeichnungen wurden zwar von der Brigham Young University digitalisiert, doch sind die Bilder nur auf Antrag bei der Nationalbibliothek Neapel erhältlich. Online zugänglich sind zur Zeit die Abzeichnungen der ersten 300 Inventarnummern über den Katalog unter Manus online. Gibt man in der dortigen "Ricerca avanzata" beispielsweise im Feld "Titolo" den Wortlaut "Disegno del PHerc. 4" ein, gelangt man zu den Kataloginformationen der Abzeichnung von PHerc. 4. Diese sind für alle disegni verfügbar. Wo vorhanden, geht es mit dem link Sfoglia le immagini di catalogo zur Ansicht der scans. Daneben gibt es im Aufbau befindliche Seite der Nationalbibliothek Neapel, auf der sukzessive Aufnahmen aller Abzeichnungen eingestellt und IIIF-konform verfügbar gemacht werden.