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Schönschrift und Kursive

Prinzipiell kann man zwischen einer Schönschrift ("book hand") und einer Schreibschrift ("cursive hand") unterscheiden. Erstere war auf eine möglichst große Klarheit und Lesbarkeit mithilfe von getrennten Buchstaben ausgelegt. Bei der Schreibschrift ging es um Schnelligkeit, sie arbeitet mit vielen Abkürzungen und Ligaturen. Meist befinden sich die Schriften zwischen diesen beiden Extremen. Die Schönschrift wurde für literarische Werke genutzt, eine ebenfalls klare, Geschäftsschrift ("documentary hand") mit wenigen Ligaturen für verschieden Arten von Dokumenten.[1]

Handschrift der Lehrer

Das vorrangige Ziel der Lehrer war es, ihre Schrift möglichst klar und einfach lesbar zu gestalten, damit die Schüler die Texte und Buchstaben problemlos nachahmen konnten. Ihre Handschrift ist daher durch den ganzen Text hindurch präzise und gleichmäßig. Die Buchstaben sind meist so verbunden, dass die Form dadurch nicht beeinträchtigt wird, aber eine gewisse Flüssigkeit entsteht. Die Schrift ist oft recht groß und reicht von 0,5 cm bis zu 2 cm, der Zeilenabstand ist dabei gleichmäßig. Durch den Text bleibt die Schrift einheitlich, wobei sie recht langsam und sorgfältig ausgeführt ist. Diese Art der Handschrift ist außerdem typisch für Briefe oder hypomnemata (Kommentare zu antiken Autoren). Alle drei zeugen von der Geübtheit und dem Können des Schreibenden, mit einer guten Lesbarkeit und dennoch flüssigem Schriftbild.
Die Handschrift vieler Lehrer ähnelt sich allgemein sehr, sie schrieben möglichst ohne individuellen Stil. Diese Lehrerhandschrift blieb auch über die Jahrhunderte insgesamt recht gleich, ähnlich der Kanzleischrift ("chancery hand"), die sich über das gesamte Reich etablierte. Dasselbe Phänomen tritt auch bei der Schulschrift auf (siehe unten), was Schultexte anhand des Schriftbildes schwer datierbar macht.

Handschrift der Schüler

Viele der Handschriften aus Schultexten ("school hands") sind vor allem ungleichmäßig und langsam geschrieben. Zu Beginn waren die Schüler nur bemüht, die Buchstabenformen richtig aufzuzeichnen. Jedoch meist nicht flüssig, sondern langsam, häufig absetzend und mit einzelnen Strichen, was man gut an den Buchstaben (besonders den runden) erkennen kann. Laut Platon braucht ein 10-jähriges Kind 3 Jahre um schreiben zu können, aber vermutlich blieben die meisten Menschen ihr Leben lang langsame Schreiber. Zudem ermüdet die Hand der Anfänger schnell, sodass der Text zum Ende hin immer unordentlicher wird. Allgemein ist die Schrift aufrecht, nur in byzantinischer Zeit sind die Buchstaben teilweise leicht nach rechts gekippt.

Schriftstil

Das Ziel des Unterrichts war es zunächst den Schülern eine möglichst gut lesbare, danach eine möglichst schnelle Schrift zu vermitteln. Die einzelnen Buchstaben sollten klar erkennbar und unterscheidbar sein, Ligaturen werden nur sparsam eingesetzt (etwa bei ε, α oder μ). Auf diese klare Lesbarkeit wurde in der Schule auch in fortgeschrittenen Klassen noch viel Wert gelegt, es gab sogar Wettbewerbe für die schönste Handschrift. Teilweise ahmten die Schüler die runde "Kanzleischrift" ihrer Lehrer nach, etwa 10 % verzierten ihre Buchstaben außerdem mit Serifen.

Buchstabengröße

Die unerfahrenen Schüler hatten außerdem Schwierigkeiten ihre Buchstaben stets gleich groß zu schreiben, nur auf wenigen Wachstafeln sind Hilfslinien zu finden. Die Buchstaben beginnen bei einer Größe von ca. 1 cm und werden im Laufe der Schulzeit immer kleiner, in Grammatikübungen sogar bis 0,3 cm. Der Schüler sollte seine Schrift verkleinern, ohne jedoch an Lesbarkeit einzubüßen. Nur in Kalligraphieübungen sind die Buchstaben teilweise außerordentlich groß.

Schwierige Buchstaben

Während die meisten Buchstaben mit geraden Strichen wie γ, η, ι, π oder τ meist gut lesbar sind, treten besonders bei ψ und β Probleme auf. Diese Buchstaben unterscheiden sich in ihrer Schreibweise teilweise stark und wurden bisweilen mehrmals nachgezogen , bis der Schüler zufrieden war. Auch α, δ und λ können häufiger verwechselt werden. Offenbar wurde für jeden Buchstaben eine bestimmte Anzahl und Richtung der konstituierenden Striche vom Lehrer vorgegeben. Diese wurden im Laufe des Unterrichts dann immer weiter reduziert, bis die Buchstaben mit ein oder zwei runden Strichen flüssig geschrieben werden konnten.

Handschrift der Schüler als Klassifikationskriterium für Übungen

Bei vergleichenden Betrachtungen fällt auf, dass das Erlernen der Schrift offensichtlich nicht nach der regulären ordo discendi erfolgte, wie unter Schulübungen dargestellt. Vielmehr zeigt sich folgende Verteilung:

  1. "zero-grade hand": Die Schrift eines absoluten Anfängers, der noch keinerlei Erfahrung im Schreiben hat und erst die Formen der Buchstaben lernen muss. Häufig mit vielen abgesetzt Strichen oder falsch geschriebene Buchstaben. Sie erscheint vor allem in frühen Buchstabenübungen und Alphabeten, aber auch noch in Schreibübungen und kurzen Passagen.
  2. "alphabetic hand": Etwas fortgeschrittenere Schrift, kann bereits Buchstaben und Alphabet langsam aber lesbar schreiben. Sie erscheint ebenfalls in obigen Übungen, selten auch noch in langen Passagen.
  3. "evolving hand": Einigermaßen geübter Schüler, der täglich schreibt, aber noch kleinere Unsicherheiten und Unregelmäßigkeiten hat. Sie herrscht in Syllabaren, Wortlisten und langen Passagen vor.
  4. "rapid hand": Fortgeschrittene und flüssige Schrift, bei der es sich streng genommen nicht mehr um eine Schülerhandschrift handelt, sondern die auch bei Lehrern oder Privatpersonen auftritt. Begegnet in langen Passagen, aber besonders in den Scholia minora und komplexeren Übungen.

Aus dieser Abfolge lässt sich folgern, dass beim Erlernen der Schrift erst darauf Wert gelegt wurde, eine bessere Handschrift durch das Kopieren längerer Texte zu erhalten, ohne diese direkt gänzlich zu durchdringen. Das systematische Erlernen von Silben erfolgte hingegen erst in einem zweiten Schritt.

  1. Nach Cribiore, Writing, Teachers etc., Kap. 7 und Kap. 9