Rhetorikunterricht

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Inhalte

In den Rhetorikschulen war das Endziel des Schülers der Erwerb der Eloquenz (Libanios). Manchmal besaß der Student angeborene Qualitäten, aber normalerweise erwarb er seine intellektuelle Ausbildung durch ein langes und mühsames Studium, das aus rhetorischen Übungen bestand. Grundlage dafür waren immer das geschriebene Wort, das Prinzip der Imitation von Vorbildern und die Stärkung der mnemonischen Fähigkeiten. Antike Autoren verglichen den Bildungsweg eines Schülers mit dem gymnastischen Training eines Athleten: So wie der Athlet seine Muskeln mit einem strengen Regime von körperlichen Übungen trainierte, trainierte der Student der Rhetorik seinen Geist mit rhetorischen Übungen.

Das rhetorische Lernen war extrem mit dem Schulweg verbunden, den der Schüler bis zu diesem Zeitpunkt beschritten hatte. Die Inhalte des Rhetorikunterrichts wurden dem kulturellen Hintergrund entnommen, den der Schüler seit der Elementarschule hatte. Hatte der Schüler im Grammatikunterricht gelernt, den Text eines Autors zu untersuchen, so lernte er im Rhetorikunterricht, sich das Vokabular, den Stil und die Organisation der Sprachelemente anzueignen.

Eine interessante Tatsache, von der Libanios uns Informationen gibt, ist die Existenz einer Art Aufnahmeprüfung (peira), um in die Schule der Rhetorik aufgenommen zu werden. In dieser Prüfung musste der Student seine intellektuellen Fähigkeiten unter Beweis stellen und zeigen, was er in den vorangegangenen Ausbildungsstufen gelernt hatte.[1]

Übungen

Rhetorische Vorübungen

Wenn ein Student einen Rhetorikunterricht begann, war er bereits mit den behandelten Texten und Autoren vertraut. Zu den ersten rhetorischen Übungen (progymnasmata) gehörten im Allgemeinen Erzählungen, die auf Märchen, Mythen oder Anekdoten (chreiai) basierten, die die Schülerinnen und Schüler auswendig lernten und abschrieben, um damit Lesen und Schreiben zu üben. Diese Elemente, die die Schülerinnen und Schüler bereits kannten, wurden also aus dem elementaren Kontext herausgelöst und für weiterführende Zwecke adaptiert. Darüber hinaus prägten epische und tragische Poesie, typisch für den Grammatikunterricht, auch die ersten Studien der Rhetorik. Homer und Euripides blieben stets die Favoriten.

Weitere rhetorische Vorübungen waren die Personifizierungsübungen (e ̅thopoiiai) und die Lobpreisübungen (encomia). Für e ̅thopoiiai wurde der Student gebeten, die verbalen Reaktionen einer mythologischen oder literarischen Figur in einer gegebenen Situation zu analysieren, während die encomia stereotype Reden waren. Diese Arten von Übungen wurden meist auf der Grundlage von poetischen Texten durchgeführt.[2]

Vorträge

Die Vorübungen dienten einerseits als Brücke zwischen dem Unterricht, den die Schülerinnen und Schüler in früheren Klassen erhalten hatten, und andererseits mussten sie die Schülerinnen und Schüler auf die Deklamation in Prosa (melete ̅ oder declamatio), den Endpunkt des rhetorischen Lernens, vorbereiten. Obwohl sich der Begriff Deklamation auf den mündlichen Bereich bezieht, waren die meletai der Schule immer das Ergebnis schriftlicher Übungen, bei denen wiederum das Prinzip der Imitation von Vorbildern eine grundlegende Rolle spielte. Auf die schriftliche Komposition eines melete ̅ folgte das Auswendiglernen. Griechische Rhetoriker teilten meletai früher in historische und fiktive meletai. Nach schriftlichen Zeugnissen zu urteilen, scheinen historische meletai im griechisch-römischen Ägypten häufiger vorgekommen zu sein, während Zeugnisse von meletai zu fiktiven Rechtsthemen seltener sind.

Der Rhetoriklehrer leitete den Schüler nicht nur bei der Untersuchung von Sprache, Rhetorik und Stil eines Textes an, sondern gab oft auch detaillierte Informationen über die biografischen Daten eines Autors und die Umstände, unter denen ein Werk entstanden ist. Auf diese Weise konnte der Student vollständig in den Text eintauchen, so dass er weiter gehen und versuchen konnte, seinen eigenen Diskurs zu schaffen.

Die in Ägypten gefundenen historischen meletai basieren bis auf wenige Ausnahmen auf der Geschichte Athens zur Zeit des Demosthenes und auf Alexander dem Großen bzw. der Zeit unmittelbar nach seinem Tod.[3]

Wert der rhetorischen Bildung

Bereits in der Antike wurde der Wert der Bildung für das Leben festgehalten.[4] Demnach war diese in der Gesellschaft und Kultur tief verwurzelt. Während für die hellenistische und römische Zeit in Sachen Rhetorik gemeinhin eine Art Verfall konstatiert wird,[5] so ist dies allenfalls im Bereich der politischen Rede festzustellen. Dennoch blieb der hohe Stellenwert der Rhetorik in der Gesellschaft bestehen, was sich in zahlreichen Gesandtschafts-, Widmungs- und Gerichtsreden niederschlug. Neben der besonderen Bedeutung epideiktischer Reden - insbesondere in der [zweiten Sophistik] - gab es in dieser Zeit auch Starredner, die den hohen Stellenwert der Rhetorik offenbaren.[6]
Nach der abgeschlossenen rhetorischen Ausbildung hatte sie vor allem einen kulturellen und sozialen Nutzen: Die Teilnahme an rhetorischen Wettbewerben,[7] das Verfassen von Panegyrik sowie das Schreiben eigener durchkomponierter Briefe sind nur wenige Beispiele, die sowohl den ägyptischen als auch den römischen Ausgebildeten offenstanden. Weiterhin ist auch die Bekanntheit gewisser Personen, die eine rhetorische Ausbildung genossen hatten, über den lokalen Kontext hinaus Indiz dafür, dass rhetorische Bildung in der Gesellschaft sehr angesehen war.[8] In höheren Kreisen war höhere Bildung also keine ephemere Angelegenheit, sondern vielmehr integraler Bestandteil des Lebens, weswegen auch der griechische Begriff paideia, der ursprünglich die Ausbildung bezeichnet, in übertragener Bedeutung nichts anderes als 'Kultur' bedeutet.[9]

  1. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 220-225.
  2. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 225-230.
  3. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 231-238.
  4. Vgl. z.B. Quint. inst. 1,8,12
  5. Vgl. die Literaturhinweise von Cribiore, 'Gymnastics', 239, FN 82
  6. Daneben war es offensichtlich auch ein Teil der rhetorischen Ausbildung, die Reden dieser einflussreichen Redner anzuhören und selbst daraus zu lernen, vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 239.
  7. Dabei bezogen sich die Wettkämpfe nicht nur auf rhetorischen Inhalt, sondern durchaus auch auf Dichtung; insbesondere für Naukratis sowie die kapitolinischen Spiele und Ephebenspiele von Oxyrhynchos und Antinoe sind derartige Wettkämpfe belegt, vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 241.
  8. Hierfür ist etwa eine hochgebildete Familie aus Panopolis ein gutes Beispiel, deren Familienmitglieder großes Ansehen, teils auch außerhalb von Ägypten, genossen vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 242.
  9. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 238-244