The King's Book (Das Königsbuch)

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Das King's Book ist ein Georg IV gewidmetes, ästhetisch ansprechendes Buch mit detaillierten Aquarell-Zeichnungen von Fragmenten Herkulanischer Papyri, die unter Humphry Davy aufgerollt wurden.

Davy in Neapel

Der britische Chemiker Humphry Davy führte 1819 und 1820 unter Schirmherrschaft des englischen Königs Georg IV. in Neapel chemische Experimente an noch nicht aufgewickelten Papyrusrollen durch. Sein Ziel war es, den Inhalt der Rollen ohne allzu große Zerstörung lesbar zu machen. Zwar mögen seine Versuche erfolgreicher als die anderer Chemiker gewesen sein, lieferten aber insgesamt kaum zufriedenstellende Resultate, d.h. nur wenig Text.

Ms. Clar. Press. d 44

Von den aufgerollten Fragmenten ließ Davy einige Zeichnungen (Disegni) anfertigen und nahm diese mit nach England, wo sie heute in der Bodleian Library (genauer: Weston Library) konsultiert werden können. Diese Disegni werden unter der Nummer Ms. Clar. Press d 44 aufbewahrt, gebunden in einem kleinen Buch. Insbesondere werden sie nicht zusammen mit den übrigen sogenannten Oxforder Disegni aufbewahrt, was auch der Grund ist, weshalb im Rahmen des Digitalisierens der Oxforder Disegni vor einigen Jahren nicht berücksichtigt wurden und folglich online nicht verfügbar sind. Insgesamt beinhaltet Ms. Clar. Press d 44 die Abzeichnungen von 13 verschiedenen PHerc-Nummern: PHerc. 59, 97, 177, 241, 371 (Latein), 373, 396 (Latein), 494, 495, 502 (Latein), 1484 (Latein), 1620 (Latein), 1671.

King's Book

Als Dank für die Unterstützung des Königs dedizierte Davy dem Monarchen nun ein eigens für ihn angefertigtes Buch (Unikat) mit Abzeichnungen der mittels seiner Methode gewonnen Fragmente, das sogenannte "(The) King’s Book" oder auch "Das Königsbuch". Der Name des Buches ist eine moderne Bezeichnung aus jüngster Zeit. Auf dem Buch an sich ist kein Titel geschrieben. Auf einer der ersten Seiten liest man: "Copies of specimens of papyri unrolled under the auspices of His Sacred Majesty King George the Fourth".Besonders hervorzuheben ist, dass der Illustrator und Archäologe William Gell die Papyrusfragmente in diesem Buch mit Wasserfarben (Aquarellfarben) ausmalte - bekanntermaßen sind alle anderen Disegni der Herkulanischen Papyri zweckmäßig-philologisch nur „schwarz auf weiß“ gezeichnet. Gells ästhetisch durchaus ansprechende Zeichnungen wurden von Reverend Peter Elmsley geprüft und gebilligt.

Inhalt des Buches

Abgesehen von den Papyrusfragmenten enthält das Buch auch einige andere Zeichnungen, z.B. die einer geschlossenen Papyrusrolle. Die in dem Buch erhaltenen Fragmente sind textuell größtenteils identisch mit denen in Ms. Clar. Press d 44. Von der Farbe angesehen weicht ihre Darstellung selbst in kleineren Details kaum von den Disegni ab, so dass sie fast wie Fotos ebenjener wirken. Das King’s Book gibt Fragmente von 15 (16) verschiedenen Papyri wieder, die Davy im Zuge seiner Arbeiten aufrollte: PHerc. 59, 97, 177, 241], (333), 371, 373, 396, 494, 495, 502, 811, 1138, 1484, 1451, 1620.

Aufbewahrungsort und Wiederentdeckung des Buches

Richard Janko hat dieses Buch vor einigen Jahren in der Royal Library in Windsor Castle aufspüren und begutachten können, durfte aber nur handschriftliche Abzeichnungen machen[1]. Auf Initiative von Kilian Fleischer wurden 2018 erstmalig digitale Bilder des kompletten Buches gemacht, welche bald auf epikur-wuerzburg.de der interessierten Forschergemeinde zur Verfügung gestellt wurden.The King’s Book wird heute in Windsor Castle unter der Royal Collections Inventory No. 1076170 aufbewahrt. Die Erlaubnis des Hochladens der digitalen Bilder erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Royal Collection Trust / © Her Majesty Queen Elizabeth II 2019 (www.rct.uk/collection).

Entstehungort des Buches bzw. der in ihm erhaltenen Zeichnungen

Das King’s Book ist nicht ausschließlich eine (Tei)Kopie der Disegni von Ms. Clar. Press d 44, sondern enthält auch in geringem Umfang Fragmente von Davys Experimenten, deren Originalabzeichnungen offenbar niemals nach England gelangten und sich noch in Neapel befinden. Aus diesem Grund scheint es unwahrscheinlich oder gar unmöglich, dass das King’s Book nach Davys Rückkehr gen England um 1820 ebendort von Gell auf Basis von Ms. Clar. Press d 44 und ggf. anderen Disegni angefertigt wurde. Graziano Ranocchia hat vor dem Hintergrund von Bells Biographie und Wohnort die plausible Hypothese aufgestellt, dass das Buch bzw. die darin erhaltenen Abzeichnungen bereits 1820 in Neapel vor Ort auf Basis der schlichten, nicht farbigen Disegni von Gell angefertigt wurden und dann von Davy mit nach England genommen wurden und zum "King's Book" gebunden wurden. Prinzipiell besteht keinerlei Zweifel, dass Gell seine Aquarelle auf Grundlage von bereits angefertigten Disegni (und nicht auf Grundlage des Originals) malte. Seine Bilder reproduzieren die anderen Disegni bis ins kleinste Detail.

Andere Aquarell-Disegni Gells in Neapel

Im Zusammenhang mit Gells Aquarellen steht ganz offenbar auch ein kleines zu PHerc. 495 gehörendes „Mini-Libretto“ und ein anderes Disegno, welche die Nationalbibliothek in Neapel 1914 von einem lokalen Buchhändler antiquarisch erwarb. Eine Untersuchung Fleischers ergab, dass sie in denselben Wasserfarben wie das King’s Book gezeichnet sind. Sie stellen wohl einen Entwurf oder spin-off von Gells Zeichnungen für das King’s Book dar. Das Mini-Libretto enthält auch Fragmente von PHerc. 241. Ein ähnlicher Fall ist das vom selben Buchhändler erworbene Aquarell-Disegno von PHerc. 1484.

Bedeutung des King's Book

Die Bedeutung des King’s Book liegt weniger in der Eigenschaft als Quelle für die Rekonstruktion der Papyri begründet als vielmehr in der kuriosen, künstlerischen Komponente, d.h. dem „Aufhübschen“ der Abzeichnungen der Herkulanischen Papyri durch Wasserfarbe, um dem König „etwas fürs Auge“ zu bieten und ein größeres Lesevergnügen zu bereiten – an den verstümmelten Fragmenten mit wenig Text hatte der König mutmaßlich wohl ohnehin wenig Freude. Jedoch könnte eine genauere Untersuchung aller Fragmente womöglich Unterschiede zu den Disegni zu Tage bringen oder sich gar zeigen, dass die „Original-Disegni“ einiger Fragmente im King’s Book heute verloren sind.


Literatur

  • H. Davy, Some Observations and Experiments on the Papyri Found in the Ruins of Herculaneum, in: Philosophical Transactions of the Royal Society of London 111 (1821), S. 191-208.
  • K. Fleischer, Two notes on the “Vita Socratis” – Oxford disegni and PHerc. 495 frg. 2 col. II/frg. 1 O Giuliano, in: CErc 48 (2018), S.75-78.
  • R. Janko, New fragments of Epicurus, Metrodorus, Demetrius Laco, Philodemus, The Carmen de bello Actiaco and other texts in Oxonian Disegni of 1788-1792, in: CErc. 38 (2008), S. 5-96, hier: S. 26 Anm. 61,64
  • R. Janko, How to Read and Reconstruct a Herculaneum Papyrus, in: B. Crostini et al., Ars Edendi Lecture Series, vol. IV, Stockholm, 2016, S. 117-161, hier: S. 122.
  • F. Longo Auricchio, L’ esperienza napoletana del Davy, in Proceedings of the 19th International Congress of Papyrology, Kairo, 1992, S. 189-202.
  • G. Ranocchia, Un nuovo titolo iniziale nella collezione ercolanese e un nuovo libro (del trattato) sul Sole di Demetrio Lacone (P.Herc. 177), in: Aegyptus 98 (2018), S. 3-36.

Fußnoten

  1. Janko 2008, S. 26 Anm. 61, 64