Grammatikunterricht

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Grundzüge

Γραμματική ist eine ἐμπειρία ("erworbene Kompetenz") des allgemeinen Gebrauchs von Dichtern und Prosaautoren. Es besteht aus sechs Teilen:

1. genaue Ablesung unter Beachtung der Prosodie; 2. die Erklärung der enthaltenen literarischen Mittel; 3. die Bereitstellung von Anmerkungen zur Phraseologie und zu den Themen; 4. die Entdeckung der Etymologie; 5. die Ausarbeitung analoger Gesetzmäßigkeiten; 6. das kritische Studium der Literatur.

Dies ist die Definition der Grammatik, die uns Dionysius Thrax um 100 v. Chr. gab, eine Definition, die alle Fähigkeiten umfasste, die ein alter Grammatiker besaß und die er seinen Schülern beibrachte. Diese Art von Textübungen gehörte zu einem hohen Niveau der antiken Bildung, ein Niveau, das nicht alle Studenten und Studentinnen erreichten. Dieser Unterricht wurde den Studenten jedoch nach und nach erteilt; die ersten Ansätze zum Studium von Texten entstanden, als die Studenten in der Lage waren, einen Text fließend zu lesen.[1]

Inhalte

Leseverstehen

Die wichtigste Fähigkeit für einen Schüler im Grammatikunterricht war laut Thrax das Genaue Lesen. Es ging dabei nicht nur darum, die Texte schlicht entziffern zu können, sondern sie auch zu verstehen und zu interpretieren. Diese Kompetenzen wurden im Elementarunterricht nicht immer gelehrt, sodass der Schüler hier oft Nachholbedarf hatte.
Allein die Lesbarkeit antiker Manuskripte war oft mühsam, ohne Worttrennung und Zeichensetzung. Einige Lehrer bereiteten daher manche Texte mit wenigstens einem Minimum an Standardisierung vor und kennzeichneten bspw. Versanfänge oder Wortenden.
Der Lehrer las nun die Texte zunächst laut vor (praelectio), danach lasen die Schüler sie selbst, meist ebenfalls laut. Sie sollten nun Zeichen setzen, Akzente verteilen oder Abschnitte gliedern.[2]

Materialien

Der Grammatiker hatte weiterhin die Aufgabe den Schülern nicht nur die historischen und mythologischen Fakten zum Verständnis der gelesenen Passagen zu geben, sondern mit ihnen auch die Texte sprachlich zu analysieren, sei es nach Stilmitteln, rhetorischen Figuren oder Tropen. Dazu standen ihm schon in der Antike zahlreiche Kommentare und Handbücher zur Verfügung, die aber so gut wie nicht überliefert sind.
Allerdings sind zahlreiche Scholia minora zu Homer erhalten, die vermutlich im Klassenzimmer entstanden sind. Im Gegensatz zu den ausführlichen Kommentaren der Gelehrten bestehen diese Kommentare der Lehrer meist nur aus grundlegenden Listen von Lemmata, also kurzen Anmerkungen zu komplexen homerischen Wörtern, die in gebräuchlicheres Griechisch übersetzt wurden.
Die Lehrer nutzten viele verschieden Handbücher, über Stilmittel, Zusammenfassungen oder auch Mythographie und scheuten sich auch nicht, diese anzupassen und abzuändern, dass es ihren Bedürfnissen und Vorstellungen entsprach. Mit diesen mythographischen Werken oder ἱστορίαι (Anmerkungen zu historischen Hintergründen) wurden den Studenten ein Faktenwissen beigebracht, dass der Lehrer häufig mündlich abfragte. Später entwickelten sich daraus auch schriftliche ἐρωτήματα (Fragen), möglicherweise heutigen Klausuren nicht unähnlich.
Aber auch die Etymologie vieler poetischer Wörter interessierte die Lehrer und es herrschte eine lange Tradition (z.B. Platons Kratylos) die Entstehung von Wörtern zurückzuverfolgen. Dabei war jedes Mittel recht, Buchstaben wurden verändert, getauscht, weggelassen oder hinzugefügt, um den erwünschten Ursprung zu beweisen.[3]

Grammatik

Im Hellenismus gab es noch kein streng definiertes grammatikalisches System des Griechischen. Erst mit Beginn der römischen Herrschaft wurde die griechische Grammatik systematisiert, bspw. mit vorgegebenen Deklinationen und Konjugationen. Da das meist attische Griechisch nicht mehr die Muttersprache der meisten Menschen war, sondern ein gemeines Griechisch (κοινῆ), musste man nun eine Ordnung aufstellen, um die Dichter genauer analysieren zu können. Die Gelehrten setzten eine Mustergriechisch, als sogenanntes ἑλληνισμός, auf. Die Koine wurde nur für eine Metalepsis oder für Beispielswörter für Beugungsreihen genutzt. Diese grammatikalischen Abhandlungen (τέχναι) konzentrierten sich dabei auf Phonologie und Morphologie und ließen die Syntax weitgehend außen vor. Die logische Systematik des älteren Griechisch, erschloss man sich vor allem aus Analogien. Bis in die Kaiserzeit gab es aber keine einheitliches Handbuch daher sind viele der Schriften unterschiedlich.
In der Schule mussten sich die Lehrer auf vorhandene Schriften oder ihre Sprachintuition verlassen. Es gibt dabei auch Handbücher, die eindeutig für den Gebrauch im Unterricht geschrieben wurde. Oft haben sie absurde Beispiele, wie die Deklination von Name im Plural, die aber den Schülern in Erinnerung blieben. Die Grammatik musste auswendig gelernt werde; mithilfe von, eigens für den Unterricht geschriebenen, Beugungstabellen, die den Studenten auch halfen, inzwischen ungebräuchliche Formen wie den Dual oder den Optativ zu lernen. Die "Kanones" des Theodosius stellen eine solche Sammlung von Regeln dar. Im Schulkontext wurde besonders Wert auf kontrahierte Verben gelegt, während Verben mit athematischer Konjugation, wie τίθημι, in späteren Darstellungen häufig, aufgrund der Seltenheit in der Koine, weggelassen wurden. Im Unterricht bildete man nach diesen Regeln als Übungen alle Formen, teilweise auch unsinnige, wie den Imperativ Futur.[4]

Inhalte des Gelesenen

Die Schüler lasen fast ausschließlich poetische Werke. Diese sollten verstanden und analysiert werden, nach technischen und ethischen Standpunkten.[5] Die Auswahl an Werken war dabei wohl eher begrenzt; Quintilian berichtet, man lese vorwiegend die besten Dichter (also z.B. Homer, Hesiod und Euripides) und nur zur Abwechslung auch einmal unbekanntere.[6]
Dieses Curriculum der klassischen Dichter war natürlich nur theoretisch, manche Lehrer werden auch archaische oder moderne Dichter außerhalb der üblichen Bahnen unterrichtet haben. Aber die Regel war wohl, dass man sich immer wieder mit den selben Dichtern auseinandersetzte, angefangen beim erlernen der Schrift und Grammatik im Elementarunterricht, über die Analyse der Satzstrukturen im Grammatikunterricht, bis hin zur Diskussion philosophischer und ethischer Themen im Rhetorikunterricht. Der Unterricht sollte den Studenten einen philologischen Korpus der klassischsten Autoren vermitteln, nicht unbedingt eine breite Übersicht der Stile oder auch der "Schönheit" verschiedener Dichter.[7]

Dichter

Homer

Nach archäologischen Funden waren Homer und Euripides die beliebtesten Dichter, wobei ersterer als berühmtester Dichter der Antike zehnmal häufiger auftritt als letzterer. Die Ilias wurde ca. dreimal mehr gefunden als die Odyssee, wobei besonders der Anfangs, also die Einführung und der Schiffskatalog, am beliebtesten war. Auch wurde die Ilias sehr oft gelesen, wenn auch nicht gleichmäßig stark analysiert, wohingegen die Odyssee schon deutlich weniger aufmerksam bearbeitet wurde.[8]

Hesiod, Euripides und Menander

  • Hesiod wurde ebenfalls recht häufig in Schulen gelesen, wie auch Platon und Lukian belegen. Besonders in höheren Stufen war Hesiod, vor allem wegen seiner vielen mythologischen und heroischen Genealogien in der Theogonie, beliebt.
  • In der Tragödie war Euripides der beliebteste Dichter. Sophokles wurde kaum, Aischylos nur wenig häufiger gelesen und wegen ihrer schwierigen Sprache nur ihn den höchsten Stufen. Die bekanntesten Stücke von Euripides wie die Orestie, Medea, Hekuba, Alkestis oder Phoinissai waren jedem Studenten gut bekannt und wegen ihrer zugänglichen Sprache in der Schule eine gute Übung. Besonders die Phönizierinnen wurden in der Schule, aber auch allgemein in der römisch-griechischen Welt äußerst häufig gelesen, vermutlich wegen ihrer vielen Rückbezüge auf den beliebten thematischen Sagenkreis.
  • Aber auch Menanders Komödien, z.B. der Misoumenos, sind wegen ihrer Alltagsnähe, ihrer Sprache und ihren γνώμαι (Maximen, Sinnsprüche), die gerne auswendig gelernt und in Übungsreden behandelt wurde, in vielen Kopien erhalten.[9]

In byzantinischer Zeit ersetzte Aristophanes Menander, weshalb seine Komödien nur schlecht überliefert sind. Die fortgeschrittenen Studenten lasen nun die Acharner. Auch Kallimachos und Pindar erfreuten sich Beliebtheit und ihre Motive wurden in Rhetorikschulen gerne aufgegriffen und verhandelt. Allerdings ist es in den meisten Fällen schwierig zu entscheiden, ob ein Text aus einer privaten Sammlung oder einer höheren Schulklasse stammt, sodass die genaue Zahl unklar ist.

Übrige Dichter und Prosa

Abgesehen von diesen Klassikern wurden in den Schulen nur wenige andere Dichter gelesen. Theognis und der Satiriker Hipponax, oder unter Umständen alexandrinische Dichter wie Apollonios Rhodios, Aratos von Soloi und der Schöpfer der Bukolik, Theokrit, die eine solche Berühmtheit erlangten, dass man sie nicht mehr ignorieren konnte.
Prosa las man so gut wie gar nicht in den Schulen. Einzige Ausnahmen sind Fabeln, wie die von Aesop und Babrios, die in vielen unterschiedlichen Bildungsstufen zum Einsatz kamen. Man lernte mit ihnen Schreiben, die ersten Grammatikübungen oder entnahmen ihnen Problemstellungen für frühe Rhetorikübungen. Auch Isokrates' zyprische Reden las man, vor allem wegen ihren Gnomai, die darauf verhandelt und besprochen werden konnten.[10]

Schreiben

Die Studenten verbrachten die meiste Zeit eher mit Lesen und Lernen als damit, eigene Texte zu schreiben. Eigene literarische Texte zu schreiben gehörte nicht zur Schulausbildung, höchstens Zusammenfassungen oder Paraphrasen des Gelesenen wurden erwartet. Die einzige Ausnahme, die den Schülern ein kleines Maß an kreativer Freiheit erlaubte, war das Verfassen von Briefen. Es existierten sogar Handbücher mit Anweisungen und Beispielen für richtiges Briefeschreiben. Die Formulierung und Ausarbeitung von Briefen sollte zur ἠθοποιία, also der Charakterformung, beitragen. Allerdings ist unklar, welche Stellenwert das Erlernen dieser τέχνη (Kunst) tatsächlich im antiken Curriculum einnahm.
Da viele Studenten allerdings ihre Ausbildung in Städten entfernt von ihrer Familie erhielten, sind zahlreiche Briefe erhalten, die zumindest zeigen, dass die Schüler grundlegende Kenntnisse im Schreiben besaßen. Wahrscheinlich ermutigten die Lehrer ihre Schüler auch, häufig briefe nach Hause zu schreiben, wie bspw. Libanios. Damit konnten die Studenten ihren Eltern auch beweisen, dass sie tatsächlich etwas in der Schule lernten.[11]

  1. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 185-189.
  2. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 189-192.
  3. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 205-210.
  4. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 210-215.
  5. Platon, Prt. 339a
  6. 10,1,58
  7. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 192-194.204-205
  8. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 194-197.
  9. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 197-201.
  10. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 201-204.
  11. Vgl. Cribiore, 'Gymnastics', 215-219.